Der Architekt Dr. Ing. Heinrich Biebel

Heinrich Biebel wurde am 15.06.1889 in Oldenburg geboren. Mutter war Adeline Biebel, geb. Bruns aus Esenshamm, Vater der Lokomotivführer Jakob Biebel aus Rüdesheim. Sein Elternhaus, ein kleines traufenständiges Doppelhaus, befindet sich in der Steubenstraße 16/18, früher Bockstraße. Bis 1905 besuchte er die Stadtknabenschule in Oldenburg.

Heinrich Biebel ist in der oberen Reihe, der 3. von rechts, Quelle: privater Nachlass

Von 1906 bis 1909 absovierte er eine Maurerlehre in Oldenburg und schloss diese mit einer sehr guten Gesellenprüfung ab. Parallel besuchte er von Oktober 1906 bis März 1909 die königliche Baugewerkeschule in Nienburg a. d. Weser und erzielte dort einen guten Abschluss als Hochbautechniker.

Ab April 1910 bis Oktober 1911 arbeitete Biebel als Hochbautechniker beim Bauunternehmen Mellmann & Tiemann in Osnabrück. Dort fertigte er u. a. Entwürfe von Wohn- und Geschäftshäusern an.

Im März 1914 bestand Biebel die Reifeprüfung, das Abitur, an der städtischen Oberrealschule in Oldenburg.

Parallel studierte er von Oktober 1911 bis Dezember 1916 an der Baugewerkschule in Höxter sowie an den Technischen Hochschulen Darmstadt und München Architektur.

Heinrich Biebel während des Studiums in Darmstadt, mit Mütze der „schlagenden Verbindung“, Quelle: privater Nachlass

In Darmstadt schloss er beide Diplomprüfungen mit Auszeichnung ab. Dafür wurde ihm 1919 in Darmstadt die Müller-Alewyn-Plakette für die beste Diplomprüfung des Jahrgangs verliehen, außerdem die Stiftungsplakette vom Senat der technischen Hochschule.

Quelle: Kurt Asche, Die Architekten H. Sandeck und H. Biebel, FB 2 Carl v. Ossietzky Universität Oldenburg 1998

Im Januar 1917 begann Biebel eine Ausbildung für den höheren Staatsdienst am Ministerium für Finanzen, Abteilung , Richtung Hochbaufach, in Darmstadt zum Regierungsbaumeister.

Ab Januar 1919 arbeitete Biebel für die Kriegerheimstättenbaugesellschaft Oldenburg und erstellte diverse Entwürfe für die geplante Kriegerheimstättensiedlung am Rauhehorst und die beiden Zwölffamilienhäuser der Klävemannstiftung an der Nadorster Straße 209 – 227.

original erhalten, Zustand 2019

Gleichzeitig bereiste er 1919 Deutschland und dokumentierte Baudenkmale für das hessische Landesdenkmalpflegeamt. Außerdem erstellte er für seine Dissertation Zeichnungen von gezimmerten Glockenstühlen.

Weiterhin wurden bereits 1919 die Baupläne für die Trauerhalle auf dem Friedhof der jüdischen Gemeinde Oldenburg genehmigt. Später wurde der Bau unter seiner Aufsicht ausgeführt und am 1. Mai 1921 eingeweiht.

Quelle: juedischer-friedhof-oldenburg.de

Vom Mai 1920 bis zum November 1921 arbeitete Dr. Biebel als Lehrer an der kunstgewerblichen Zeichenschule und der städtischen Gewerbeschule in Oldenburg.

Ende Juli 1920 besteht Dr. Biebel folgendem Artikel zufolge die Prüfung zum Regierungsbaumeister mit Auszeichnung.

Quelle: 1. Beilage zu Nr. 205 der „Nachrichten für Stadt und Land“ von Sonnabend, 31. Juli 1920

Im Juli 1920 promovierte Biebel in Darmstadt mit einer Arbeit über „Gezimmerte Glockenstühle“ zum Dr.-Ing. Die Originalfassung der Dissertation ist verschollen, es gibt nur noch eine Kurzfassung von 1921 aus der „Zeitschrift für Bauwesen“.

Quelle: Zeitschrift für Bauwesen, Ausgabe 71, Seite 93, 1921 – Digitale Landesbibliothek Berlin – Zentral- und Landesbibliothek Berlin
Quelle: privater Nachlass

Aus den „Nachrichten für Stadt und Land“ Nr. 235 vom Mittwoch, 31. August 1921 geht hervor, dass Dr. Biebel als Leiter der neu geschaffenen Bauberatungsstelle vorgesehen ist. Nachfolgendes Dokument ist Zeugnis seiner dortigen Tätigkeit.

Quelle: Kurt Asche, Die Architekten H. Sandeck und H. Biebel, FB 2 Carl v. Ossietzky Universität Oldenburg 1998

Am 2. November 1921 wurde Dr. Biebel die Leitung des Oldenburger Werkhauses übertragen und sein Programm in den „Nachrichten für Stadt und Land“ Nr. 299 veröffentlicht. Dieses Amt nahm er bis November 1923 wahr.

Aus dieser Rede geht hervor, dass Biebel sich im Sinne des Bauhausgedankens einen interdisziplinären Ansatz zur Gestaltung der Wohnumgebung vertritt. So hatte er es in der Gestaltung der Siedlung am Rauhehorst umgesetzt.
Quelle: privater Nachlass

Vom Mai 1922 bis zum März 1924 wurde Dr. Biebel vom Ministerium für soziale Fürsorge zum Leiter eines zweijährigen staatlichen Lehrgangs zur Ausbildung von Gewerbelehrern berufen. Im Mai 1923 begann er eine Lehrtätigkeit am Hindenburg-Polytechnikum in Oldenburg und wurde 1927 verbeamtet.

Quelle: privater Nachlass
Quelle: privater Nachlass

Quelle: privater Nachlass

Von 1925 bis 1935 war Dr. Biebel außerdem Bausachverständiger für Bauvorhaben an Kirchen und Friedhöfen für die evangelische Landeskirche.

Zwischen 1920 und 1933 schuf Dr. Biebel mehrere Kriegerdenkmale. Am 3. September 1921 berichtet „Nachrichten für Stadt und Land“, dass Dr. Biebel Entwürfe für ein Kriegerdenkmal für den Kriegerverein Bürgerfelde erstellt. Dieses wurde auf dem Privatgrundstück einer Gaststätte des D. Ohlenbusch an der Alexanderchaussee Nr. 63, jetzt Alexanderstraße Nr. 183, als achteckiger Klinkerbau mit 4 Tafeln mit den Namen von 136 Gefallenen ausgeführt und am 30.11.1922 eingeweiht, es steht dort nicht mehr.
Ein weiteres Denkmal steht auf dem Burgberg in Wildeshausen. In Holle an der Hunte gab es ein weiteres, inzwischen abgebautes Denkmal.

1933/34 verantwortete Dr. Biebel den Bau des Luftschifferdenkmals in Oldenburg im kleinen Bürgerbusch. Dieses enthielt im Entwurf noch in der Mitte des Denkmals ein Hakenkreuz. Es wurde aber ohne das von den Nationalsozialisten gewünschte Hakenkreuz ausgeführt.

Quelle: Kurt Asche, Die Architekten H. Sandeck und H. Biebel, FB 2 Carl v. Ossietzky Universität Oldenburg 1998
Quelle: privater Nachlass

Dr. Biebel hatte aus einfachen Verhältnissen kommend eine sehr erfolgreiche Bildungs- und Berufskarriere durchlaufen. Er war gesellschaftlich hoch geachtet. Zum Beispiel konnte er in den „Nachrichten für Stadt und Land“ vom 31. Juli 1920 über sich lesen, dass es „hoffentlich gelingt“ ihn als „Schöpfer“ zuvor aufgeführter Bauwerke „in Oldenburg zu halten“.

Doch im Juni 1935 wurde Dr. Biebel durch den Senat seiner Schule seines Amtes enthoben und in den vorzeitigen Ruhestand versetzt. Unter dem Vorwand unsittlichen Umgangs mit einem Schüler war Anklage erhoben und Untersuchungshaft angeordnet worden, das Verfahren aber wegen Mangels an Beweisen eingestellt. Hintergrund war, dass Dr. Biebel als Homosexueller „kaltgestellt“ (Kurt Asche, S. 4) werden sollte.
Sein Biograf Ulrich Piontek vermutet, dass Dr. Biebel sich dem weiteren Zugriff der Nazis nach dem Bekanntwerden seiner Homosexualität nur entziehen konnte, weil er durch seine vielseitigen öffentlichen Tätigkeiten einflussreiche Freunde in Partei und Verwaltung hatte. (Kurt Asche, Die Architekten …, S. 15).
Sein Ruf war ruiniert, sein Versuch mit Hilfe seines Stief-Großneffen in den 50iger Jahren zur Wiederherstellung scheiterte.
Ulrich Piontek schreibt dazu: „Hatte er schon 1937 seine Amtsenthebung, die ihn gesellschaftlich ausgegrenzt und isoliert hatte, kaum verkraftet, so bedeutete die neuerliche, endgültige Niederlage nach fast 20 Jahren der inneren Verzweiflung insbesondere für seine Persönlichkeit eine große Tragödie mit katastrophalen Folgen.“ (Kurt Asche, Die Architekten … S. 15)
Bislang gibt es leider dazu und zu den Verantwortlichen keine weiteren Forschungen und auch keine Wiedergutmachung.

Nur 1938 und 1939 arbeitete Dr. Biebel noch festangestellt bei der Wehrkreisverwaltung in Hannover als Architekt. Ab 1940 war er freiberuflich in Oldenburg tätig, bekam aber keine seiner Qualifikation entsprechenden Aufgaben mehr. Eine riesige Verschleuderung von Talent aufgrund der Diskriminierung und Kriminalisierung aufgrund der sexuellen Orientierung!

Dr. Heinrich Biebel war von 1931 bis 1945 Mitglied der NSDAP. Nach Angabe im Fragebogen zur Entnazifizierung hielt er sich selbst für völlig unpolitisch, wollte aber seiner Schule zu Vorteilen verhelfen und hätte nie an politischen Veranstaltungen teilgenommen. Ihm sei sogar KZ-Haft wegen seiner sexuellen Orientierung angedroht worden. Er sei auch mehrfach zusammengeschlagen worden zu sein mit der Folge einer Gehbehinderung. Trotzdem wurde er – durch von Deutschen besetzte Spruchkammern – einem aufwendigen und langwierigem Entnazifizierungsverfahren unterzogen. Seine Diskriminierung scheint über das Vehikel der Entnazifizierung fortgesetzt worden zu sein. Im Vergleich dazu geschah zum Beispiel beim Oldenburger Architekten Hans Martin Fricke nichts. Hans Martin Fricke war ab 1935 Landesleiter der Reichskammer der bildenden Künste im Gau Weser-Ems, ab 1941 Vorsitzender des Oldenburger Kunstvereins und von 1943 – 1945 Stabsfrontführer der Organisation Todt. Nach 1945 konnte er problemlos weiter arbeiten und wurde 1953 Bundesvorsitzender des Bundes Deutscher Architekten der Region. Entnazifizierungsakten gibt es über ihn nicht. Der Oldenburger Architekt Peter Salomon gab Hans Martin Fricke eine Mitverantwortung an der Behandlung von Dr. Heinrich Biebel während und nach der NS-Zeit und verhinderte auch deswegen mit anderen jüngeren Architekten in den 1980iger Jahren dessen Ernennung zum Ehrenmitglied des Architektenbundes.

Nach dem endgültigen Scheitern der gesellschaftlichen Rehabilitierung lebte Dr. Biebel zurückgezogen in seinem Elternhaus in der Steubenstraße 16 bzw. 18 (die frühere Bockstraße). Sein früheres Büro in der Steubenstraße 16 vermietete er in den 60iger Jahren an den Architekten Peter Salomon. Nachbarn haben ihn als freundlichen, zugewandten Menschen in guter Erinnerung.
Dr. Biebel starb 1979 im Alter von 90 Jahren.

Quellen:
Kurt Asche und Ulrich Piontek, Die Architekten H. Sandeck und H. Biebel, FB 2 Carl v. Ossietzky Universität Oldenburg 1998, Biografie, Lebenslauf und Dokumente, Typografie, Universitätsbibliothek und Landesarchiv
Zeitzeugen der Nachbarschaft und Verwandtschaft
Reinig, Peter, Architektur seit der Jahrhundertwende, Oldenburg, Holzberg 1986
Architektur in Zeichnungen, Reproduktionen und Fotografien, Universitätsbibliothek Oldenburg 1999
„Nachrichten für Stadt und Land“, Landesbibliothek Oldenburg
Gloria Köpnick, Rainer Stamm, Das Bauhaus in Oldenburg, Michael Imhof Verlag, Petersberg 2019, S. 63, 69, 85
Landesarchiv Oldenburg, Akten zu Heinrich Biebel Rep 400, Akz 116 Nr. 30 und Rep 980 Best 351 Nr. 58617

Dr. Biebel mit seiner Mutter Adeline Biebel geb. Bruns, Quelle: privater Nachlass